Auf, zu neuen Ufern!

mozaik-Autorin Dragica Marcius macht sich Gedanken über das Wort «Ufer» und was für die Lebenden wie die Toten alles mit dem Begriff verbunden ist.  Das Wort «Ufer» kommt aus dem mittelhochdeutschen «uover», mittelniederdeutsch «ōver», westgermanisch «öbera». «Ufer» wird seit dem 13. Jahrhundert verwendet und ist wahrscheinlich die alte Vergleichsform zu «ab», was eigentlich bedeutet: weiter rückwärts gelegener Teil eines Gewässers oder dessen angrenzendes Land. Ein Meer, ein See, ein schmaler Bach oder ein breiter Fluss haben Ufer. Manchmal gibt es auf dieser oder jener Seite Sand und Kies, manchmal Büsche und Bäume, manchmal Steinbrocken oder steile Felsen. Auf Meeren und Seen fahren Schiffe, die einen ans andere Ufer bringen. Bäche kann man oft mit einem Sprung überwinden. Will man ein Wasser überqueren, braucht es nicht nur Schiffe, sondern auch Brücken. In früheren Zeiten gab es noch nicht viele Brücken, und so übernahmen die Fährmänner die Aufgabe, Menschen, Tiere und Lasten auf die andere Seite des Flusses zu rudern. Um aufs andere Ufer zu kommen, kann man das in Basel mit Rufen oder einer Glocke machen: «Hoi» oder «Holla», ein alter Ruf, der «hol über» heissen soll, um einen der Fährmänner oder Fährfrauen zu informieren, dass man herübergesetzt werden will. Klein- und Grossbasel, die durch die Mittlere Brücke verbunden sind, waren früher kulturell sehr unterschiedlich. Wohnte in früheren Zeit vermehrt das reiche Bürgertum auf der Grossbasler Seite, dem rechten Ufer des Rheins und die Bediensteten der Herrschaftshäuser auf der linken Seite, im Kleinbasel. Heute ist es hip, aus dem eher vornehmen und geordneten Grossbasel ins multikulturelle Kleinbasel zu ziehen. Als Christoph Kolumbus mit seiner Flotte das Ufer von Lissabon verliess, wusste er noch nicht, dass er im Westen, am anderen Ufer einen neuen Kontinent entdecken würde. Am anderen Ufer findet man daher nicht nur eine andere Geografie oder Vegetation, sondern auch

Weiterlesen
Masken-Musiktheater ohne Worte: «Unter dem Meer» am Theater Basel (Foto: Ingo Höhn)

Sprache ist ein Teil der Musik

In der Oper ist die Vielsprachigkeit Alltag. Wie gehen Sänger:innen damit um? Meret Kündig ist Dramaturgin an der Oper des Theater Basel. Dragica Marcius sprach mit ihr. mozaik Frau Kündig, würden Sie unseren Lesern etwas über den Beruf der Dramaturgin erzählen? Meret Kündig Dramaturg:innen haben sehr vielfältige Aufgaben. Sie arbeiten in der Regel eng mit den künstlerischen Teams bzw. der Regie zusammen: bei der Vorbereitung und Entwicklung des Konzepts, Recherchen etc. Bei den Proben haben sie eine beratende Funktion, geben Feedback. Als Teil des Hauses sind sie aber auch bei der Programmgestaltung beteiligt, bei Spielplan- und Besetzungsfragen. Und schliesslich bilden sie Brücken zwischen den Stücken und dem Publikum, in Form von Programmheften, Einführungen, Nachgesprächen. Sie stellen also Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen her, kommunizieren und vermitteln. Was macht Ihnen an Ihrem Beruf am Theater Basel am meisten Freude? Gerade diese Vielseitigkeit gefällt mir. Ich komme mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen zusammen und tauche bei jedem Projekt in einen neuen Kosmos ein. Jedes Stück und jede menschliche und künstlerische Begegnung bringt wieder ganz andere Themen und Fragestellungen mit sich, mit denen man sich vielleicht noch nie vorher beschäftigt hat. Ich finde es auch spannend,  darüber nachzudenken, wie man Theater oder Oper für die Zukunft weiterdenken und öffnen kann. Wie kann Theater einer diverser werdenden Gesellschaft zugänglicher gemacht werden? Welche Geschichten wollen wir erzählen, für wen und wie? Die Dramaturgin hat es oft mit vielen Menschen aus anderen Kulturkreisen zu tun. Mit welchen Menschen aus welchen Ländern arbeiten Sie? Als Operndramaturgin arbeite ich tatsächlich mit Künstler:innen aus der ganzen Welt. Die Opernszene ist sehr international, da kommen Dirigent:innen, Sänger:innen und Regieteams aus allen Kontinenten zusammen. Die sechs aktuellen Mitglieder unseres Opernstudios z. B. kommen aus der Ukraine, Polen, Südafrika, England, den USA und Südkorea. Fremdsprachen und Gesang, wie geht das zusammen?  Musiker:innen sind

Weiterlesen

Stopp! Grenze – border – frontière – granica – sinir

Meine erste Begegnung mit Grenzen machte ich als Fünfjährige. Meine Mutter, meine Geschwister und ich versuchten über eine grüne Grenze ausser Landes zu kommen. Damals, als man aus den Ostblockstaaten nicht legal ausreisen durfte, war es verboten und galt als Republikflucht. Wir wurden von der Grenzpolizei erwischt. Sie schossen und liessen ihre Schäferhunde auf uns los. Zum Glück traf uns keine der Kugeln, und die Grenzwächter pfiffen ihre Hunde früh genug zurück. Wir wurden tagelang verhört und schliefen zusammengekauert auf Strohsäcken. Wir wollten zu meinem Vater nach Salzburg, der sich zwei Jahre zuvor zwischen Kühen in einem Viehtransport versteckt hatte und so fliehen konnte. Hätte man ihn bei der Flucht erwischt, wäre er zurück in die Zwangslager von Tito geschickt worden. Dieser regierte mit harter Hand und kommunistischen Gesetzen, raubte der Landbevölkerung das Land und liess arbeitstüchtige Männer Schwerstarbeit leisten. Ein Grossonkel meiner Mutter beschaffte uns zwei Jahre später ein dreimonatiges Besuchsvisum nach Österreich. Von diesem Besuch kehrten wir nicht mehr in die Heimat zurück, waren fortan staatenlose Flüchtlinge.  In meiner Arbeit als Erwachsenenbildnerin erlebe ich viele Menschen, die vor Krieg, Diskriminierung, Hungersnot oder aus anderen Gründen eine lange Flucht auf sich genommen haben. Ich gebe ihnen Deutschunterricht, unterstütze sie bei Behördengängen und Wohnungssuche, helfe ihnen zu verstehen, was bei Elternabenden gesprochen wird. Manchmal kann ich mit ihnen über ihre Flucht aus den Heimatländern sprechen, aber oft sind diese Menschen so traumatisiert, dass sie gar nicht darüber sprechen können. Die 17-jährige Afghanin Fatime sollte, wie es in ihrer Heimat Brauch ist, verheiratet werden. Sowohl die Schwester ihrer Mutter als auch der Bruder ihres Vaters wollten ihre Söhne mit der schönen und klugen Fatime verheiraten. Sie hatte Glück gehabt, denn sie durfte entgegen allen Gesetzen der Taliban bis 17 zur Schule gehen. Fatime liebte keinen der beiden Männer, wollte später Medizin

Weiterlesen

Jetzt langt’s!

Streitsüchtiger Arbeitskollege, pubertierende Tochter, Verkehrsrowdy! Wann hat eine:r die Nase voll? Und was dann? Dragica Marcius erkundigt sich bei Passanten im Kleinbasel.  Jetzt langt’s! Wie oft schon habe ich diesen, meist lautstarken Ausruf gehört! Die Nerven liegen blank. Zum Beispiel wenn ein Ehestreit eskaliert und jeder am liebsten davonstürmen möchte. Oder wenn ein Vater seinen halbwüchsigen Sohn, der schon wieder sein ganzes Taschengeld am Fünfzehnten des Monats ausgegeben hat und den Vater nervend um Neues bettelt.  Eine 13-jährige Tochter will bis nach 24 Uhr ausgehen, ein Elternpaar weist im Restaurant die unruhigen Kinder zurecht, eine Mutter will, dass das Kind im Bus zu zappeln aufhört. Ganz zu schweigen vom Warten an der Supermarkt-Kasse, wenn die Kinder auf Augenhöhe Kaugummi und Zuckerzeug sehen, quengeln oder toben und es unbedingt haben wollen. Irgendwann langt’s! Menschen verlieren aus den verschiedensten Gründen die Fassung und beginnen je nach Temperament laut oder leise zu fluchen, zu schimpfen oder auszurufen. Hat man eher ein ruhiges Temperament, so juckt es einen nicht, wenn ein Autofahrer auf rechts überholt und sich dann vor einem in den Verkehr drängelt. Jemand mit einem aufbrausenden Temperament gerät in Rage, nimmt die Verfolgung auf und versucht nun seinerseits zu überholen um dem Verkehrsrowdy den Stinkefinger zu zeigen. Wann es jemandem langt, auf diese Frage habe ich im Kleinbasel die verschiedensten Antworten bekommen. Hier einige davon: Hedi (64): «Wenn mein Mann mir beim Kochen hineinredet, kann es manchmal vor dem Mittagessen in unserer Ehe schon richtig dampfen. Seit er pensioniert ist, will er überall mitreden. Tu doch noch mehr Pfeffer in das Essen! Wärm die Teller vor! Schalt die Herdplatte aus! Das geht so lange, bis ich ihm aus Wut einen Teller vor die Füsse werfe. Dann weiss er, dass es genug ist.“ Sabina (14): «Wenn mein Freund dasitzt und einfach nicht redet.

Weiterlesen

Wofür engagierst du dich?

Unterwegs im Kleinbasel fragte mozaik-Reporterin Dragica Marcius Passanten: «Was verstehen Sie unter Engagement? Und was bedeutet das für Sie?»  Die deutsche Übersetzung des französischen Wortes «s’engager» bedeutet: Sich für etwas verpflichten. Heute verstehen wir darunter: Sich einsetzen, an etwas Interesse haben, etwas tun oder sich an etwas beteiligen.  Harald (48) erzählt mir, dass er sich in einer Zeitbörse engagiert. Auf meine erstaunte Frage, was eine Zeitbörse sei, antwortet er: «Engagierte Menschen bieten in einem professionellen Netzwerk Dienstleistungen zum Tausch gegen Zeit an. Für die Leistungen bekommen die Menschen dann kein Geld, sondern Zeit auf ein Konto gutgeschrieben. Diese gutgeschriebene Zeit kann man dann als Dienstleistung einziehen. Zum Beispiel Computerreparaturen gegen Umzugshilfe, Fensterputzen gegen Aufgabenhilfe oder Einkaufen gegen Gassigehen mit dem Hund. Zeitbörse ist ein Beziehungsnetz zwischen Menschen, die einander mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten helfen können.» Peter (28) kann sich wegen einem Geburtsleiden nur mit dem Rollstuhl fortbewegen. Nichtsdestotrotz besorgt er am Samstag mit seinem Rollstuhl für das alte Nachbarehepaar die Grosseinkäufe bei Migros und Coop und macht andere Besorgungen für sie. «Meine Familie lebt in Winterthur und ich kann neben meiner Arbeit als Informatiker diese Erledigungen gut machen. Oft werde ich gefragt, was ich für mich allein mit so vielen Lebensmitteln machen würde, die gerade mal auf den Rollstuhls passen. Aber die sind ja für meine alten Freunde und für mich», sagt er.   Sven (12): «Da wir in unserer Wohnung keine Haustiere halten dürfen, was ich ja Schwachsinn finde, gehe ich regelmässig mit dem Hund unserer Nachbarin spazieren. Das ist ein grosser Golden Retriever. Er ist ganz brav und gut erzogen. Ausserdem zieht er nicht an der Leine. Wenn er ziehen würde, könnte ich ihn nicht halten. Zum Schnuppern und Beinhochheben lasse ich ihm immer genug Zeit und wenn wir in den Langen Erlen sind, kann ich ihn sogar von

Weiterlesen

Mladi ljudi u Malom Bazelu

Serbische Übersetzung des Artikels “Den eigenen Weg finden und Träume verwirklichen” von Dragica Marcius im mozaik 01/2022. Zanimalo me je kako mladi ljudi ocenjuju sebe, šta im se lično sviđa ili ne sviđa i šta žele svetu. Razvila sam upitnik, izašala i ispitivala mlade ljude na Claramatte i Dreirosenmatte. Sa debelim kaputom, čizmama i kapom mogala sam da obavim dva intervjua napolju. Ali bilo je previše hladno, pa sam pomerila posao na intervjuu unutra. Išala sam u Leisure Center Dreirosen i razne kafiće gde sam sumnjala na mlade ljude. Upoznala sam mlade ljude u Cafe Fruhling, gde ne morate ništa da konzumirate, možete da radite na laptopu, telefonirate ili razgovarate sa prijateljima. Naravno, tamo je bilo toplije nego napolju. Često su usledili veoma živahni, dugi i otvoreni razgovori. Sklopio se šareni buket odgovora koji nikako ne želi da bude reprezentativan. Crteže sam napravla po sećanju. Ime, godine, roditelji, braća i sestre Većina mladih mi je dalo svoje ime ili nadimak i nešto o svojoj životnoj situaciji. Nisu hteli da se štampaju nijedne fotografije. Mladi su imali između 13 i 25 godina. Imali su različito poreklo zbog svojih roditelja, koji su došli iz Eritreje, Meksika, Hondurasa ili Turske, na primer. Većina je živela u netaknutim porodicama sa ocem, majkom i braćom i sestrama. Neki od njih su imali braću i sestre blizance. Kako pronalazite svoju školu ili obuku? Lusija (20) kaže da nije školarac i da zato nije uživala u školi. Sa druge strane, 13 i 14-godišnjaci Sara i Levi voleli su da idu u školu i tamo su uglavnom imali ljubazne učitelje i odlične kolege. Laurie (24) i Bruni (20) volela je školsku atmosferu, ali su smatrali da su neki od nastavnika nekompetentni, prestari i da je konkurencija između učenika bila prevelika za njih. Dve studentkinje muzike Lusija i Babet

Weiterlesen