Jetzt die Prioritäten im Baumschutz neu setzen

Von Antoinette Voellmy

Sie erinnern sich vielleicht: Auf der Parzelle Horburgstrasse 100, dem ehemaligen Restaurant Erlengarten, sollen ein Mehrfamilienhaus mit 21 Wohnungen und ein Einfamilienhaus gebaut werden. Nachbarinnen und Nachbarn haben Einspruch erhoben und zusätzlich die Petition «Für einen wirksamen Baumschutz – für einen Schutz des Mikroklimas» eingereicht. In einer Woche hatten wir 600 Unterschriften gesammelt, aus fast allen Häusern in der Nachbarschaft sind unterschriebene Petitionsbögen bei uns eingetroffen. 

Die Petition fordert den Schutz der vier grossen Kastanien der Gartenbeiz, fordert aber auch grundsätzlich, die Prioritäten zwischen Baugesetz und Baumschutzgesetz neu zu setzen. Denn in unserem Fall wie auch in anderen Fällen wurde von den Behörden die Möglichkeit, das «Potenzial» der Parzelle gemäss Baugesetz auszunutzen, höher gewertet als der Schutz ökologisch wertvoller grosser, alter Bäume. Das ist mit Klimanotstand, Klimaanalyse und Stadtklimakonzept nicht vereinbar.

Der Grosse Rat hat die Petition mit einer Reihe von Fragen der Petitionskommission dem Regierungsrat überwiesen. Am 28. September 2021 hat der Regierungsrat dazu Stellung genommen. 

Die Stellungsnahme des Regierungsrates ist ausgesprochen dürftig.


Baumbestand ungenügend erfasst

Wir erfahren, dass in den letzten zehn Jahren im Matthäusquartier 143 neue Bäume im öffentlichen Raum gepflanzt wurden, wovon aber der Grossteil Ersatzbäume waren. Wenn wir davon ausgehen, dass auch grosse alte Bäume ersetzt wurden, ist also das Blattvolumen insgesamt eher zurückgegangen. Wie viele Baumstandorte neu angelegt wurden, sei nicht bekannt – wer weiss einen?  –  ebenso wie nicht bekannt sei, wie viele alte Bäume auf Privatgrund ersetzt oder auch nicht ersetzt oder neu gepflanzt wurden. Wie will das Baudepartement den Baumbestand erhöhen, wenn diese Daten  nicht erfasst werden? Und wurde diese mangelhafte Datenerfassung des Baumbestandes nicht schon 2017 und 2018 in den Berichten der Geschäftsprüfungskommission GPK gerügt?


Gleich im ersten Abschnitt findet sich die erstaunliche Aussage, dass es im Kanton-Basel Stadt mit keinerlei Baulandreserven praktisch keine Alternative zur inneren Verdichtung gäbe. Bitte sehr: Basel verfügt über 113 Hektaren Transformationsflächen mit einem Potenzial von 30000 Arbeitsplätzen und Wohnraum für 20000 Personen (und das sind nur die grossen Entwicklungsareale).*

Es folgen allgemein gehaltene Sätze über die Bedeutung der Erhaltung des Lebensraumes und der Wohnqualität und ein Hinweis auf das Freiraumkonzept. Den Bedürfnissen des Matthäusquartiers solle Rechnung getragen werden. Wie bleibt offen. In Fokusgebieten – die Nachbarschaft des Erlengartens ist ein solches Fokusgebiet – solle die Erwärmung mit temporären Massnahmen gemildert werden. Was für temporäre Massnahmen, fragen wir, und weshalb nur temporäre Massnahmen?

Ebenso allgemein bleibt die Regierung beim Thema Verdichtung. Wir hätten uns zumindest ein Statement gewünscht, wonach Verdichtungen auf Kosten von Freiräumen und geschützten Bäumen in  den dicht bewohnten Quartieren nicht mehr erlaubt werden. Stattdessen lesen wir, «dass differenziert vorgegangen werde» und «Verdichtungen, die über das bisherige Nutzungsmass hinausgehen allenfalls punktuell und nach sorgfältiger Prüfung an lokal besonders geeigneten Standorten stattfinden können, aber der Zustimmung des Grossen Rates bedürfen». Liegen wir falsch, wenn wir annehmen, dass es ums CS Areal Horburg/Dreirosen geht?

Die Petition wurde am 12. Januar 2022 vom Grossen Rat als erledigt erklärt. 

Erledigt ist gar nichts

Die Regierung anerkennt, dass das Matthäusquartier zu den klimatischen Hotspots und ein Fokusgebiet zur Verbesserung des Freiraumangebots ist. Konsequenzen hat diese Einschätzung, die im übrigen nicht neu ist, keine.

Die Frage nach der Prioritätensetzung zwischen Bau- und Planungsgesetz und Baumschutzgesetz wird nicht einmal erwähnt. Diese Frage ist entscheidend. Denn wenn all die Absichtserklärungen und sorgfältig erarbeiteten Papiere von Klimanotstand zu Stadtklimaanalyse und Stadtklimakonzept mehr als Makulatur sein sollen, wird es sehr oft um eine Prioritätensetzung zwischen verschiedenen Interessen und Gesetzen gehen.

Das Stadtklimakonzept betont, dass auch kleine Grünräume wirksam sind. Das ist auch unsere Erfahrung und die Meinung all der AnwohnerInnen, die unsere Petition unterschrieben haben. 

Alle Papiere zu den Themen Klimanotstand und Stadtklimakonzept fordern eine neue Prioritätensetzung  zugunsten von Klima und Mikroklima. In den letzten Jahren sind immer wieder grosse alte Bäume Bauvorhaben zum Opfer gefallen. Wann entschliessen sich  Behörden und Regierung, endlich zu handeln? Sicher ist, dass es weiterhin aufmerksame Nachbarinnen und Nachbarn braucht, die Einsprachen und Petitionen zum Schutze von Bäumen und Grünflächen machen.

Drei der vier Kastanien des Erlengartens stehen noch, die vierte wurde im Rahmen des Neubaues an der Efringerstrasse 107 gefällt. Die Kastanien sollen nach dem heutigen Stand der Dinge durch Zerreichen werden im zukünftigen 3 Meter breiten Vorgarten ersetzt werden. Sie werden dort nie den Umfang und die Blattmasse der alten Bäume erreichen. Das Verfahren um den Neubau ist noch nicht entschieden: Im Eckbereich Horburgstrasse/Efringerstrasse muss – so wurde es im generellen Bauverfahren festgehalten – ein grosskroniger markanter Baum gepflanzt werden und  sich entwickeln können. Das ist gemäss Baurekurskommission nach den heutigen Plänen nicht möglich, weshalb eine Redimensionierung des Baus verlangt wurde.

Vielleicht geschieht ein Wunder? Noch kann dieser kleine Grünraum mit den grossen Kastanien erhalten werden.

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